So langsam wird Crazy Corona zur wahren Herausforderung! In Zeiten wie diesen ist es wichtig, für sich den ganz eigenen persönlichen Gewinn zu definieren. Mit den neuen Vorgaben, Einschränkungen, aber vielleicht auch Zugewinnen zu leben und sie alle positiv für sich zu nutzen. Ich will hier nichts beschönigen. Zukunftssorgen, soziale Isolation und Überforderung durch die Flut an Informationen bei gleichzeitiger Ungewissheit – Die aktuelle Krise stellt alle Menschen vor große Herausforderungen. Echtes Changemanagement ist gerade gefragt. Jetzt gibt es mal Butter bei die Fische, wo sonst eher Lippenbekenntnisse gemacht werden.
Psychischem Stress entgegenwirken
Eingesperrt zu Hause, getrennt von Freunden und Kolleginnen, zerrissen zwischen Homeoffice, Homeschooling und Haushalt. Egal ob überfordert mit der Informationsflut oder einsam und gelangweilt, die Corona-Quarantäne stellt alle Menschen vor große Herausforderungen, da sie uns direkt an mehreren wunden Punkten trifft: Die Wissenschaft geht von fünf wichtigen psychischen Bedürfnissen des Menschen aus. Diese fünf brauchen wir, um zufrieden und psychisch stabil zu sein. Das sind Bindung, Kompetenz, Selbstbestimmung, Sinn und Lebensfreude. Die Einschränkungen, die wir gerade erfahren stellen einen gleichzeitigen Angriff auf alle diese wichtigen Lebensbereiche dar. Daher überrascht es nicht, dass die aktuellen Bedingungen bei den meisten großen psychischen Stress auslösen. Ihm lässt sich allerdings auch entgegensteuern – mit ganz gezieltem und maßgeschneidertem Aktivitätenaufbau.
Übung: Die eigene Standortbestimmung in Krisenzeiten
Was Menschen gerade brauchen ist sehr individuell, je nach Ausprägung ihrer Bedürfnisse, daher kann ich hier nur exemplarisch ein paar Dinge aufgreifen, wie wir diese Stressbombe, die aus heiterem Himmel auf uns geworfen wurde, entschärfen können.
Um zu wissen, was Menschen machen können, um ihren Stress zu reduzieren, müssen wir eine ganz grundlegende Frage stellen: Was macht denn eigentlich die Menschen im Leben letztlich glücklich und zufrieden? Was ist den Menschen wirklich wichtig? Erfolg, Reichtum, Karriere, Familie oder Unabhängigkeit? Diesen Fragen ist der der Psychologe Steven Reiss in den 90er Jahren in seiner Forschung nachgegangen. In seinen Untersuchungen mit Tausenden Versuchspersonen fand er heraus, dass nicht nur ein oder zwei Motivatoren unser Leben vorrangig beeinflussen, sondern sechzehn grundlegende Motivdimensionen. Hierzu erfasste er das Reiss Motivation Profile® in der die komplette Motiv-, Antriebs- und Wertestruktur eines Menschen abgebildet werden kann. Nach allen bisherigen Erkenntnissen kann man davon ausgehen, dass die festgestellten Motivausprägungen situations- und zeitüberdauernd sind und sich im Laufe des Lebens nicht kategorisch verändern.
Menschen, die nach Ordnung streben, haben es gerade besonders schwer
Ordnung ist eins dieser sechzehn Motivdimensionen. Menschen, die eine hohe motivierte Ordnung haben, streben nach Organisation, strukturiertem Vorgehen und legen Wert auf Sicherheit, Stabilität und bevorzugen ein planvolles Vorgehen. Veränderungen mögen Ordnungsmenschen nicht wirklich. Ich weiß, wovon ich rede.
Mir fällt es zum Beispiel leichter, Dinge und Aufgaben zu strukturieren und planvoll abzuarbeiten, mit klaren Rahmenbedingungen. Zwar mag es niemand so wirklich chaotisch, aber Menschen mit einem stark ausgeprägten Ordnungsmotiv fühlen sich mehr als andere unwohl, wenn ihre Umgebung oder auch ihre Terminplanung in Unordnung geraten. Das heißt auch, dass diese Menschen gerade extrem gefordert sind.Meistens liegt es ihnen nicht, spontan aus der Laune des Augenblicks heraus Dinge zu unternehmen, da Sie überzeugt davon sind, dass gute Planung und Vorbereitung die Schlüssel zum Erfolg darstellen. Sie sind in der Lage, ihre Aufmerksamkeit selbst auf die kleinsten Details zu legen und es kann sogar sein, dass ihnen kleinste Veränderungen auffallen, zum Beispiel wenn ein Raum geringfügig unordentlich oder nicht ganz sauber ist.
Routine und Rituale als Stabilisator
Menschen mit ausgeprägten Ordnungsmotiv erfüllen sich oft durch Routineabläufe und Rituale ihr Bedürfnis nach Konstanz in ihrem Tagesablauf. Vielleicht sitzen Sie immer am gleichen Esstischplatz, oder bevorzugen es, immer zur gleichen Zeit zu essen. An ihrem Arbeitsplatz schätzen sie Struktur, klare Abläufe und Prozesse. Ja, und dann kommt dieses Corona und nicht nur liebgewonnene Rituale fallen weg, sondern gleich gar nix lässt sich kontrollieren und planen. Wir kommen zu der Erkenntnis, wir haben die Dinge nur marginal selbst in der Hand.
Menschen, denen es gerade ähnlich geht wie mir, möchte ich hier dazu ermutigen, die bisher gewählten Wege, Arbeitsstrategien, belastenden Rahmenbedingungen und die gewählten Gefühle dazu, einmal zu überdenken und in eine, der eigenen Logik bestimmten Richtung zu bewegen, um nicht nur gut durch die Krise, sondern auch danach gestärkt auch ihr hervorzugehen.
Kompetenzfeld Ordnung als Motivationsbooster
Oft hilft der Perspektivenwechsel, um Distanz zum eigenen Empfinden zu schaffen und dadurch Klarheit zu bekommen. Viele flexible Menschen sind der Meinung, ordnungsliebende Menschen verlieren sich in Trivialitäten und würden erfolgreicher sein, wenn sie mehr auf die „wichtigen“ Dinge fokussieren würden. Die Wahrheit ist, dass Individualität viel größer ist als allgemein angenommen und manche Menschen eben die Neigung haben, ordnungsliebend zu sein, und andere die Neigung, flexibel und spontan zu sein. Da jeder Mensch am glücklichsten mit einem Lebensstil ist, der seiner eigenen Natur entspricht, besteht kein Grund, dass radikal zu ändern, aber sehr wohl, die Stärken, die darin liegen, gekonnt auszuspielen.
Disziplin und Struktur als strategischer Masterplan
Ordnungsmenschen können, weil sie diszipliniert sind und in der Lage, Pläne zu machen, ihr eigenes Wohlfühl-Ordnungspaket fürs Krisenmanagement schnüren. Sie können gründlich überdenken, was diese Situation Gutes für sie im Gepäck hat und sich eine eigene Alltagsstruktur bauen. Im Netz gibt es unzählige Anleitungen, wie man sein eigenes Fitnessprogramm stricken kann, die Essenszubereitung per Take-away oder Supermarkt organisiert und dem „Draußen sein dürfen“ eine ganz neue eigene Bedeutung beimessen und somit seine eigene Grundordnung wiederherstellen kann. Die existenziell betroffenen Ordnungsmenschen sind natürlich noch einmal ganz anders gefordert. Sie können ihre eigene Ordnung mit möglichen Handlungs- und Exit-Strategien erstellen. Die Kunst ist, hier nicht in sogenannte selbst gedachte Denkfehler zu verfallen. Also sich kompetenzgesteuert auf den Weg in die Neuausrichtung zu begeben, anstatt hektische Maßnahmen zu ergreifen.
Die These des Action Bias oder warum Abwarten und Nichtstun eine Qual sein kann
Aktiv werden, selbst wenn es nicht nützt. Sich das ins Bewusstsein zu rücken, erst dann zu handeln, wenn es wirklich sinnvoll ist, darum geht es. Fußballer, die einen Elfmeter schießen, schießen zu einem Drittel der Fälle nach rechts oder links. Und der Torwart? Er hechtet zu 50 Prozent nach rechts oder links. Ein Drittel der Bälle landet aber in der Mitte. Wenn die Statistiken doch bekannt sind, warum dann dieses Missverhältnis? Weil es keine besonders gute Figur macht, einfach stehen zu belieben.
Oder ein anderes Bild: Ein Arzt hat einen Patienten mit diffusem Krankheitsbild vor sich. Vor die Wahl gestellt, ob der Arzt eingreifen soll oder nicht, ein Medikament zu verschreiben oder nicht, wird er tendenziell die aktivere Variante wählen. Wie vieles haben solche Dynamiken ihren Ursprung aus der Jäger-und Sammler-Umgebung, in der blitzschnelles Handeln überlebenswichtig war. Wir sind natürlich alles Nachkommen dieser Schnell-mach-Menschen. Doch heute ist die Situation eine andere, aber abwarten, um eine fürs eigene Wohl geeignete Entscheidung zu treffen, will geübt sein.
In unklaren Situationen verspüren wir den Impuls, etwas zu tun – einfach irgendwas. Wir fühlen uns dadurch besser, auch wenn sich nichts spürbar verbessert hat. Kurzum, wir sind zu schnell. Wenn die Situation für Sie unklar ist, dann warten Sie, bis sie diese für sich besser einschätzen können.
Was in unserer Macht steht und was nicht
Vieles können wir gerade nicht beeinflussen, aber in unserer Macht stehen, unser Denken, unser Tun, unser Streben, unser Meiden – alles, was wir selbst in Gang setzen können und auch zu verantworten haben. Nicht in unserer Macht stehen unser Körper, unser Besitz, unser Außen – sprich alles, was nicht von uns selber kommt. Um Anstrengungen zu vermeiden, ist es wichtig, realistische Ziele zu verfolgen und unseren Verstand dementsprechend einzusetzen. Derzeit lohnt sich mehr als blinder Aktionismus, die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind und eine eigene Vision zu entwickeln oder umzudenken.
Bindung und soziale Verbundenheit
Das geht am besten im Austausch mit anderen Menschen. Außerdem ist das Bedürfnis nach Verbundenheit tief in uns eingeschrieben. Im Moment wird uns dieser Austausch und diese Verbundenheit allerdings auch erschwert. Wir dürfen unsere Freunde nicht treffen, Großeltern dürfen ihre Enkel nicht sehen, wir begegnen unseren Arbeitskollegen selten oder gar nicht und selbst oberflächliche Kontakte auf der Straße und im Supermarkt werden knapp. Bei einem Mangel an Bindung droht ein Gefühl von Einsamkeit.
Es lohnt sich daher, zu überlegen, wie Sie auch unter diesen schwierigen Umständen Kontakt halten können. Telefonische Kontakte und Videokonferenzen können helfen, der Einsamkeit vorzubeugen – auch wenn sie kein vollständiger Ersatz für echte Nähe und Begegnungen sein können. „Besser als nichts“ muss hier das Gebot der Stunde sein. Kontakte zu pflegen und gerade durch regelmäßige Termine, die neben sozialen Kontakten auch helfen, die Woche zu strukturieren, durch Online-Lösungen zu ersetzen.
Ganz neue Bindungserfahrungen sammeln
Manchmal liegt das Gute auch ganz nah: Viele Familien rücken im Moment näher zusammen, weil Kindergarten- und Schulkinder zu Hause betreut werden müssen. Auch die älteren Kinder verbringen die Tage zu Hause, weil sie von ihren sonstigen Aktivitäten abgeschnitten sind. Hier steckt neben viel Anstrengung auch Potenzial für schöne Bindungserfahrungen. Zugehörigkeit kann man auch erleben, wenn man sich als Teil eines größeren Ganzen versteht – und selten war die ganze Menschheit in allen Ländern gleichzeitig so offensichtlich dem gleichen Schicksal ausgesetzt wie jetzt. Wir sitzen alle im gleichen Boot und wir haben die Pest an Bord. Es kann Patientinnen und Patienten helfen, zu erkennen, dass nicht nur sie aktuell von Einschränkungen und Sorgen betroffen sind, sondern auch ihre Freunde, Nachbarn, Kolleginnen und alle Menschen, die sie auf der Straße sehen. Diese Universalität des Leidens anzuerkennen hilft, sich weniger allein zu fühlen.
Selbstwirksame Kompetenz
Menschen fühlen sich gut, wenn sie ihre Fähigkeiten anwenden und verbessern können, Erfolge erreichen und dafür Anerkennung bekommen. Vielleicht können wir im Moment keine beruflichen Erfolge verzeichnen und sportliche Aktivitäten sind eingeschränkt. Vielleicht können wir jetzt auf ganz andere Bereiche ausweichen. Wir haben die Wahl uns erfolgreich und selbstwirksam zu fühlen, wenn wir beispielsweise den Garten umgestalten oder über neue Konzepte brüten.
Während es manchen Menschen aktuell schwerfällt, Projekte für die freie Zeit zu finden, sind andere durch die veränderten Umstände schwer gefordert und kämpfen eher gegen Überforderung als gegen Langeweile. Es ist gerade ganz wichtig, nur realistische Ansprüche an sich zu stellen und die Erschwernisse durch die aktuellen Einschränkungen anzuerkennen: Man kann nicht so viel schaffen wie sonst, wenn man im Homeoffice gleichzeitig noch auf die Kinder aufpasst und für die älteren Nachbarn einkaufen geht. Für die Ordnungsliebenden Menschen, die das Gefühl haben, sie hätten gar nichts geschafft eine „Geschafft-Liste“ zu notieren.
Selbstbestimmung statt Selbstoptimierung im Shutdown
Wir streben nach Freiheit und dem Gefühl, das eigene Leben in der Hand zu haben. Niemand fühlt sich gerne als Spielball der Umstände. Die aktuellen Maßnahmen stellen einen schweren Angriff auf unsere Autonomie dar. Es gibt einiges, dass wir nicht dürfen; unsere Freiheit wird in vielfältiger Weise eingeschränkt. Hier lauern zwei Gefahren: Auf der einen Seite das Gefühl von Hilflosigkeit und Resignation, auf der anderen Seite die Wut auf die Einschränkungen und die Regelsetzer „da oben“, Reakzeptanz, Trotz und Rebellion – bis hin zu Corona-Partys, um die eigene Freiheit wiederherzustellen.
Es hilft, sich mit den aktuellen Maßnahmen innerlich einverstanden zu erklären; dann sind die Einschränkungen in unserem Sinne und widersprechen der Selbstbestimmung weniger, als sie für Humbug zu halten und in innerem Protest zu leben.
Es tut Menschen gut, Ereignisse als Teil eines größeren Zusammenhangs zu verstehen, statt als eine chaotische Abfolge von Einzelereignissen. Wir müssen dafür der Coronakrise keinen höheren Sinn unterstellen. Das wäre sicher auch für viele Menschen zynisch, angesichts des großen Leids und der vielen Opfer. Aber sich über kurz-, mittel- und langfristige Ziele bewusst zu werden, um sich die Frage „Wozu mache ich das gerade?“ beantworten zu können, schafft innere Ordnung und erlaubt uns auch unter den aktuellen Umständen, wichtige Ziele und Projekte weiterzuverfolgen.
Der Erfahrung eine Bedeutung geben
Schon jetzt haben wir durch das Leben in der Krise viel darüber gelernt, wie unsere Gesellschaft funktioniert und wie flexibel, vernünftig und solidarisch Menschen sich verhalten, wenn die Umstände es verlangen. Möglicherweise wird die Krise nicht nur schädliche, sondern auch hilfreiche Spuren hinterlassen. Ganz pragmatisch heißt das: Experimentieren Sie. Machen Sie einmal was anders. Tatsächlich scheint man aktuell sogar schon zu helfen, wenn man sich aus der Öffentlichkeit fernhält – so einfach war es noch nie, etwas Gutes zu tun.
Wenn Sie Ruhe brauchen, sollen Sie sich Ruhe gönnen. Wenn sie einsam sind, sollten Sie aktiv Kontakte herstellen – per Telefon oder Video. Wenn Sie sich langweilen, sollten Sie ein neues Projekt beginnen. Fühlen Sie sich aber erschöpft und überfordert, dann können Sie genießen, dass viele Verpflichtungen zurzeit wegfallen und versuchen, sich auszuruhen. Die Corona-Krise gilt es vor allem gesund zu überstehen – körperlich und geistig. Es ist nicht nötig, auch noch diesen Krisenzustand zu optimieren.
Die Sonnenseiten zulassen und genießen können
Viele Menschen wünschen sich schon lange eine Entschleunigung des Alltags – die haben wir jetzt. Bei Umfragen hat sich der Großteil der Arbeitnehmer für mehr Zeit mit der Familie ausgesprochen – auch die gibt es jetzt zwangsweise. Wenn wir diese Zeit gerade genießen, beschleicht uns aber auch schon wieder das schlechte Gewissen. Kann oder darf man eine solche Krise genießen. Ja! Es ist erlaubt und gesund, die positiven Seiten zuzulassen und zu genießen. Es ist gesund, das anzunehmen, was die Situation uns bietet – statt sich wie so oft das zu wünschen, was man gerade nicht hat. Wir wissen, dass diese Phase vorübergehen wird und dass es wichtig ist, sie auch psychisch gesund zu überstehen. Wir werden früher oder später wieder in unserem gewohnten Alltag ankommen. Wir sollten uns diese schwierige Phase selbst so leicht wie möglich machen.
Und daher wünschen Ich Ihnen allen einen guten Start zur Neuausrichtung. Jeder in seinem Tempo und seinem Bedarf.
Herzlich Ihre
Anke Nennstiel