Das Burnout-Syndrom wird leider noch immer viel zu oft als Modediagnose abgetan, seine Existenz gar angezweifelt. Oder wir benutzen den Burnout-Begriff – halb ernst, halb im Spaß – als Synonym, wenn wir gerade enorm unter Stress stehen: „Wenn das so weiter geht, bekomme ich einen Burnout.“ Und doch machen wir genauso weiter wie bisher.
Von Grenzen und Wendepunkten
Ich habe auch lange nicht daran geglaubt, dass meine Belastbarkeit endlich ist. Bis ich an meinem ganz persönlichen Wendepunkt erkennen musste: Oh doch, hier ist eine Grenze – so geht es nicht weiter.
Obwohl es in aller Munde ist, ist das Wissen über das Burnout-Syndrom sehr dünn bis nicht vorhanden. Dabei kündigt sich ein Burnout in mehreren Stufen an. Zwischen den ersten Erschöpfungsanzeichen und einem totalen Kollaps gibt es viele Zwischenschritte. Zwölf Stück haben die Psychologen Herbert Freudenberger und Gail North in ihrer Forschung dazu ausgemacht.
Besonderes Gefährdungspotenzial
Freudenberger war es auch, der 1974 den Begriff Burnout einführte. Schon damals war ihm klar, dass vor allem Personen besonders gefährdet sind, die viel Einsatzfreude und Engagement mitbringen.
Auch ich war am Anfang, sozusagen meiner ersten Karriere, voll motiviert, machte bei RTL den Weg von der Regieassistentin, der Nachrichtenproducerin, der Produktionsleiterin zur Leitung des Nachrichtenbereichs und stieg schließlich nach der Projektleitung in die Geschäftsführung auf, wo ich verantwortlich war für die interne Kommunikation. Die einzige Frau unter Männern.
Trotzdem habe ich mich „durchgeschlagen“. Ich bin mit fünfzehn Jungs auf dem Hof groß geworden und hatte keine andere Chance: Es wurde Fußball gespielt, und so habe ich es als Mädchen in den Sturm geschafft. Dort und auch später in meinem Job habe ich mir all das angeeignet, was Männer besser können als Frauen: Auch im Konflikt aufeinander zugehen, Konflikte hinten anstellen, Seilschaften trotz größter Feindschaft bilden. Immer den Blick fürs Wesentliche behalten und bloß nicht in Emotionen verheddern. Bis es plötzlich nicht mehr ging. Den Job habe ich aufgegeben, die Fußballleidenschaft ist natürlich geblieben!
Die eigenen Bedürfnisse im Blick behalten
Ich bin die Karriereleiter immer weiter hinaufgeklettert, ohne zu hinterfragen, ob es überhaupt das ist, was ich will. Klar, warum sollte man eine Beförderung nach der anderen auch ausschlagen? Glauben Sie mir, es gibt viele Gründe! Ich will damit auf keinen Fall sagen, dass es per se schlecht ist, Karriere zu machen und (Führungs-)Verantwortung zu übernehmen. Wichtig ist bei jedem Karriereschritt aber der Blick auf die eigenen Bedürfnisse.
Oft ist es gar nicht die Arbeitsmenge, die in den Burnout führt. Noch viel mehr oder ganz andere Aspekte können zum enormen Energieverlust und zur völligen Erschöpfung führen. Die US-amerikanische Psychologin Christina Maslach hat für den „Job Burnout“ sechs Aspekte definiert, die wichtig sind, um ihn zu vermeiden:
- die Arbeitsmenge
- die eigenen Einflussmöglichkeiten
- Belohnung und Anerkennung, die man erfährt
- das Arbeitsklima und die herrschende Kollegialität
- Transparenz und Gerechtigkeit
- Sinn und die Übereinstimmung der Werte
Der ausschlaggebendste Punkt war bei meiner eigenen Burnout-Erfahrung sicher der sechste. Der Wertekonflikt, der mir selbst ganz lange gar nicht bewusst wurde. Denn dafür hatte ich (Punkt 1) gar keine Zeit.
Bis ich völlig erschöpft am Chiemsee saß und alles ganz klar sah. Das war mein Wendepunkt. Der See ist für mich noch heute Kraftquelle und Inspiration zugleich. Vor über fünf Jahren, in einer Klinik, die darauf ausgerichtet ist, die Menschen schnell und effizient durchzuschleusen und wieder in ihr Leben zu entlassen, war es diese Ruhe am See, die mir klargemacht hat, dass mein Leben so nicht weitergehen kann. Der klare See hat mir erlaubt auch meine Situation klar zu sehen und was das genau ist, was sich nicht richtig anfühlt und mir meine ganze Energie nimmt. Meine Perspektive und Sichtweise änderte sich schlagartig.
Selbstbestimmte Entscheidungen treffen
Und nicht nur meine Sichtweise, sondern auch mein Leben änderte sich schlagartig beziehungsweise änderte ich es: neuer Job, neuer Wohnort… Ich begann, aus dem Leben zu werfen, was da seit Jahren keinen Platz mehr hatte – ich hatte es bloß nicht gesehen.
Ich war wieder in der Lage, Entscheidungen zu treffen, meine Schritte konzentriert und bewusst zu gehen, meine Gesundheit ganzheitlich im Blick zu halten, Pausen zu machen und meinen Leidenschaften nachzugehen.
Das ganze Leben so wie ich umzukrempeln ist natürlich nicht immer nötig. Vor allem, wenn man die Zeichen schon früher beachtet. Wo wir wieder bei den 12 Stufen wären, auf die Sie bei sich und Ihren Mitmenschen achten sollten, die Burnout gefährdet sind:
- Sie haben den Hang, sich selbst zu beweisen
- die Arbeitslast wird immer mehr
- die eigenen Bedürfnisse, wie zum Beispiel der Schlaf werden verhandelbar
- Konflikte werden verdrängt
- Freunde, Familie, Hobbies werden vernachlässigt
- Probleme werden geleugnet
- immer weiterer Rückzug, körperliche Anzeichen wie Verspannung, Unruhe oder Schlaflosigkeit werden ignoriert
- das Verhalten verändert sich deutlich
- eigene Person wird herabgewertet und die eigenen Bedürfnisse ignoriert
- innere Leere tritt ein, die oft mit Essen oder Alkohol gestopft wird
- Zustände der Depression
- Burnout bis zum vollständigen physischen und psychischen Kollaps
Wendepunkte nutzen
Im Chiemgau, wo alles begann, habe ich heute meinen eigenen Ruheraum und mein zweites Büro. Wie bei so vielen Menschen, ist auch mein Lebensweg gezeichnet von zahlreichen Brüchen, die ich immer selbstbewusst mit Mut und Zuversicht gemeistert habe, die mich überhaupt erst in diese hohen Führungspositionen in einer Männerdomäne befördert und zu einer wahrhaften Verfechterin des Familien-Patchworks gemacht haben. Aber diesem Wendepunkt am Chiemsee verdanke ich das wunderbare Leben, das ich heute führe und mir auch für anderen Menschen wünsche.
Man kann in ein Burnout reingeraten. Er ist real, aber kein Schicksal, das man hinnehmen muss.
Ihre