Abenteuer Leben: Die 7 Phasen zur Neuausrichtung

Jedes Problem ist anders. So individuell wie Frau und Herr Müller, Meier oder Schmitz. Das gilt insbesondere für existentielle Lebenskrisen und Schicksalsschläge. Sie schubsen uns aus unseren Komfortzonen und können unsere Existenz vernichten. Sie können aber auch Kräfte, Fähigkeiten und Talente mobilisieren, von denen wir gar nicht wussten, dass wir sie in uns tragen.

In unserem 13. Wendepunkt CoachCast, diesmal aus der Rubrik MutmachMenschen kommt die ehemals arbeitslose Andrea Siegert zu Wort: „Einmal selbst im Führerstand stehen“ – auf eine derart kühne Idee wäre sie vor Ihrer Kündigung niemals gekommen. Und erzählt uns auch ein Paradebeispiel dafür, warum „Mann“ oder „Frau“ sich bei der Berufswahl nicht von den typischen Geschlechter-Klischees abschrecken lassen sollte.

Die Empfehlung einer Freundin hat Andrea auf den Beruf der Lokführerin aufmerksam gemacht. Ihr erster Gedanke damals: „Das passt doch gar nicht zu mir. Ich bin Pink, ich bin Glitzer und hab so gar nichts mit Technik am Hut“, erzählt uns die 30-Jährige. Sehr spannend dabei ist zu lernen, warum es Pink und Glitzer dennoch in den Führerstand geschafft haben. Oder warum Andrea ihre Neuausrichtung vergleichsweise leicht gefallen ist, während Andere sich damit äußerst schwer tun oder scheitern.

Gerade jetzt in dieser doch sehr fordernden Corona Zeit brauchen wir inspirierende Wegweiser. Und mutmachende, reale Geschichten wie eben die von Andrea und ihrer wundersamen Verwandlung von der arbeitslosen Burökauffrau-Raupe zum strahlenden Lokführer-Schmetterling.

Weitreichende Herausforderungen existentieller Veränderungen

Die aktuellen Entwicklungen des gesellschaftlichen Umbruchs und digitalen Wandels stellen viele von uns vor die Herausforderung und Grenzerfahrung, wesentliche Veränderungen und die daraus folgenden Konsequenzen für uns selbst und andere mitzugestalten. Gleichzeitig müssen die neuen Wendungen nicht nur verarbeitet sondern auch in eine neue Richtung und ungewisse Zukunft geführt werden. Beruflich wie privat.

Wesentliche Veränderungen sind dabei solche, die unsere aktuelle Lebenssituation bedrohen und hohe Anforderungen an unsere Veränderungsbereitschaft stellen. Dazu gehören beispielsweise:

  • neue Aufgaben mit neuen Herausforderungen, denen wir uns unfreiwillig stellen müssen
  • Notwendigkeit des Erwerbs neuer Kompetenzen, für die uns bis dato eigentlich nicht interessieren haben (zum Beispiel Arbeiten im Homeoffice)
  • Beschneidung von Entscheidungskompetenzen
  • Verlust und Bedrohung des Arbeitsplatzes oder der Existenz

Dabei durchlaufen wir typische Phasen der emotionalen Verarbeitung. Die größte Veränderung im Leben eines Menschen ist der Tod. Mit Menschen diesen konkret aus sich zukommen sahen, haben Psychologen ein Modell entwickelt, das im Grundprinzip auf alle Veränderungen übertragbar ist, in denen wir gezwungenen sind, uns von etwas Altem, Gewohnten oder Liebgewonnenen zu verabschieden und uns auf etwas ungewohnt Neues einzulassen.

Modell des Changemanagements: Wo stehen wir?

 

 

Übersetzen wir den neudeutschen Business-Anglizismus „Changemanagement“ in unsere Muttersprache reden wir z.B. von „Leitung, Verwaltung und Organisation der Veränderung“ oder in meinen Worten vom „konstruktiven und zielführenden Umgang mit Veränderung“. Um diese aus obiger Grafik in unser Leben zu holen, können und sollten wir lernen, die dargestellten Phasen der emotionalen Verarbeitung zu erkennen, zu respektieren und angemessen darauf zu reagieren. Ansonsten laufen wir nämlich Gefahr, unnötige Konflikte zu provozieren und im „Tal der Tränen“ stecken zu bleiben.

Wenn also unsere Schallplatte immer wieder an die gleiche Stelle zurückspringt und wir uns in einer vermeintlich hilflosen und fremdbestimmten Endlosschleife drehen, können wir daran natürlich verzweifeln. Oder uns zu selbstbestimmter Achtsamkeit aufraffen und erkennen: Achtung, Obacht …die nächste – nicht selten weit überfällige – Phase der persönlichen Veränderung und Entwicklung kündigt sich (längst) an.

Phase 1 – Vorahnung und Sorge

Die obige Kurve des „konstruktiven und zielführenden Umgang mit Veränderung“ gilt – wie oben ja schon erwähnt – nicht nur für das Berufliche und Geschäftliche sondern auch das Private. Aber dazu kommen wir später und erst einmal zu dem, was derzeit in Deutschland und der ganzen Welt vor sich geht: Grundlegende Umstrukturierung. In Gesellschaft, Volkswirtschaft und Unternehmen. Und damit mehr oder jeder bei jedem von uns.

Die Entscheidung, dass etwas Wichtiges geschieht, ist vielleicht schon gefallen – jedoch nicht veröffentlicht. Die Mitarbeitenden sind aber weder taub noch tumb – ganz im Gegenteil. Der „Flurfunk“ sorgt für die Verbreitung von Gerüchten und halben Informationen. Erfahrungen aus der Vergangenheit, Informationen und Spekulationen in der Presse sorgen dafür, dass schon vor der Veröffentlichung der Entscheidung die Veränderung geahnt wird.

Die emotionalen Reaktionen in dieser Phase verbreiten Sorge und Verunsicherung wie ein Lauffeuer – nicht selten so stark, dass die Produktivität darunter leidet. Um dem entgegen zu wirken sollten wir – wenn wir denn als Entscheidern in dem Unternehmen agieren würden – so früh wie nur irgend möglich und vor allem schneller als die Presse – die Mitarbeitenden vollständig über die anstehenden Veränderungen informieren. Und zwar nicht nur schriftlich und/oder über Beauftragte. Echte und verantwortungsbewusste Führungskräfte stellen sich der Resonanz derartiger Veröffentlichungen bei den Mitarbeitenden auch persönlich.

Tatsächlich gehören aber die wenigsten von uns zu den Menschen, die derartig schwerwiegende und weitreichende Entscheidungen treffen können oder müssen. Vielmehr sind die meisten von uns mit dessen Folgen konfrontiert. Genau dabei hat Andrea Ihren damaligen Arbeitsplatz als Bürokauffrau und Ihre Existenzgrundlage verloren. Was auch leicht verständlich macht, dass dieser negative „Change“ bzw. ihre unfreiwillige und fremdbestimmte „berufliche Veränderung“ in die Arbeitslosigkeit natürlich auch weitreichende Konsequenzen im Privaten nach sich zieht.

Und dabei äußerst spannend zu erfahren, wie Andrea ihren „Change gemanaged“ hat? Wie hat sie ihren Umgang damit konstruktiv und zielführend gestaltet? Und wie hat Sie dabei ihre persönliche Kurve von der arbeitslosen Bürokauffrau zur erfolgreichen Lokführerin gekriegt?

Phase 2 – Schreck, Schock und Unglaube

Wenn wir mit besonders unliebsamen und einschneidenden Fakten konfrontiert werden, ist die erste Reaktion zunächst einmal ein unkontrollierbarer Schock. Der fällt umso schwerer aus, je heftiger die Folgen bzw. die dadurch verursachten Veränderungen sind. Wir halten inne mit dem Gewohnten, sind zu keiner wohlüberlegten Reaktion fähig und müssen das Gehörte erst einmal verarbeiten.

Zunächst gilt es dann überhaupt erst einmal zu begreifen und zu realisieren, dass das schon länger Geahnte und Befürchtete jetzt eingetreten, der Wandel und die Veränderung tatsächlich und unwiderruflich begonnen hat. Das geht nicht von heute auf morgen und braucht seine Zeit, die wir uns nehmen müssen, um den Schock zu verarbeiten und die neuen Fakten und Realitäten annehmen zu können. Tatsächlich neigt die menschliche Psyche jedoch intuitiv erst einmal zum Gegenteil, nämlich die neuen, schmerzhaften Realitäten vehement abzulehnen und auszublenden.

Phase 3 – Abwehr, Ärger und Aggression

Wenn die Fakten allmählich nicht nur vom Verstand begriffen sind und die erste Schreckreaktion vorüber ist, werden wir wütend, ärgerlich, ja gar aggressiv, weil das Neue als Bedrohung des mühselig hergestellten Status quo unserer bisherigen Lebensleistung wahrgenommen wird. Eine häufige und nachvollziehbare Reaktion ist deshalb eine intuitive Abwehrhaltung. Wir argumentieren oder demonstrieren gegen die Veränderung, stellen die Sinnhaftigkeit in Frage, leugnen die Notwendigkeit einer Veränderung oder deren Ausmaß und Konsequenzen. Alles ganz normal und menschlich. Aber eben auch das Gegenteil von konstruktiv und zielführend. Denn es kann in aller Regel weder den verlorenen Arbeitsplatz wiederherstellen noch die Veränderung aufhalten.

Phase 4 – Resignation, Frustration und Depression

Wir wissen nicht, wie viele Menschen gerade um ihre Existenz bangen, aber irgendwann wird es klar und deutlich: Es gibt kein Zurück, das Alte ist unwiederbringlich vorbei. Das Neue noch nicht in Sicht. Die anfangs noch in eine verstärkte Abwehr investierte Energie, fällt in sich zusammen. Wir fallen in ein dunkles und tiefes Motivations-Loch. Es ist keine Energie mehr für die Abwehr vorhanden. Und schon gar nicht für die Bewältigung des Neuen. Auch alles ganz normal und menschlich.

Phase 5 – Akzeptanz, Abschied und das Tal der Tränen

Gutgemeinte Aufmunterungs-Versuche von Außenstehenden sind ein natürlicher Reflex, jedoch selten hilfreich – ganz im Gegenteil. Das wird von Betroffenen eher als Beleg dafür gesehen, dass die Aufmunterer noch nicht begriffen haben, wie schlecht es einem wirklich geht. Angehörige und Freunde können deshalb am Meisten helfen, wenn sie das nachvollziehbare Motivations-Loch des Betroffenen respektieren, es jedoch weder schön reden noch sich hineinziehen lassen sondern auf dem Weg zum traurigen Boden der Tatsachen mit eigenen Einschätzungen und Wahrnehmungen im wertschätzenden Dialog zur Seite stehen.

Trauer ist seelischer Wundschmerz. Der tut deshalb zwangsläufig sehr weh, ist aber auch ein gutes Zeichen für den beginnenden Abschied vom Alten. Menschen trauern dabei sehr unterschiedlich. Die einen tun es mit Tränen, die anderen werden nur still, während andere wehmütig erzählen, wie es früher war und nie mehr werden wird.

In dieser Phase gibt es nichts Bewegendes zu tun, außer das Tal der Tränen zu respektieren. Unserer Trauer Raum und uns selbst die Zeit zu geben, die wir für unseren Abschied brauchen. Mitunter können angemessene Rituale die Verarbeitung der Trauer und das Abschiednehmen unterstützen. Angemessen heißt hier übrigens, dass die Betroffenen die Rituale selbst als angemessen erachten (und nicht die Außenstehenden).

Ein Beispiel: Eine Filiale wird geschlossen. Die zukünftig arbeitslosen Mitarbeitenden überlegen sich, wie sie diesen letzten Tag gemeinsam in der Filiale gestalten wollen. Das Ausschalten des Lichts und das letztmalige Abschließen der Filiale bekommt hierdurch auch symbolischen Gehalt und ermöglicht auch das emotionale Abschiednehmen.

Phase 6 – Neugier, Öffnung und Bereitschaft für neue Lösungen

Erst jetzt ist die Bereitschaft da, sich mit den gegebenen Umständen abzufinden. Die Verliebtheit in die Vergangenheit lässt nach, es wird nicht mehr an dem unwiederbringlich Verlorenen festgeklammert. Die Suche nach verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs mit der neuen Situation beginnt. Vereinzelt kann dabei sogar Enthusiasmus und Lust am Erweitern der eigenen Kompetenzen entstehen.

Phase 7 – Startschuss Neuausrichtung: Wohlbefinden und Selbstvertrauen

Nun endlich ist das Neue, das anfänglich als schlechtes oder gar erschütterndes Ereignis erlebt wurde, wirklich verarbeitet und integriert. Wir haben mitunter ganz neue Fähigkeiten erworben, identifizieren uns mit der neuen Rolle und den damit verbundenen neuen Aufgaben. Das Verbesserungspotenzial, das die Veränderung in sich birgt, kann sich erst jetzt voll entfalten. Der Aufbruch zu neuen Ufern beginnt. Wir können unsere Anstrengungen würdigen, Erfolge feiern und uns über unsere ungeahnte Entwicklung freuen.

Wir wachsen und lernen, dass wir uns das früher gar nicht zugetraut und erst durch die Krise geschafft haben. Mit anderen Worten: Was uns anfänglich aus der Bahn wirft, bringt gleichzeitig die Chance mit, über uns hinauszuwachsen. Das Gelingen ist ein tolles Gefühl und eine elementare Erfahrung, die uns auch kommenden Krisen deutlich souveräner und gelassener begegnen lässt.

Im positiven Fall ergibt sich aus diesem Modell, dass wir aus jeder Krise gestärkt hervorgehen und sich daraus ein wiederkehrender Kreislauf ergibt, der unsere Persönlichkeit immer stärker, stabiler, resilienter und krisenfester macht. Je nach Persönlichkeitsstruktur, situativen Umständen und Schwere von Krise oder Schicksalsschlag können Menschen im negativen Fall in einer der Phasen hängen bleiben. Dann können Sie in Aggression und Resignation, Verbitterung und Zynismus verfallen. Oder sie bleiben in der Depression oder einer Sucht wie z. B. Alkoholismus stecken. Oder verlieren in anderer Art die Kontrolle über ihr Leben.

Vom ungeliebten Beruf zur ungeahnten Berufung

Andreas Siegert erzählt uns eindrucksvoll, wie sie ihren Beruf und ihre Existenzgrundlage erst verlieren musste, um sich selbst zu entdecken, vom ungeliebten Beruf zur neuen Berufung sowie einem weitaus besseren und erfüllteren Leben zu finden, dass sie sich früher selbst gar nicht zugetraut hat.

Besonders bemerkenswert dabei ist, dass Andrea sich dafür gar nicht verbiegen musste, sondern sich einfach nur getraut hat, sich gerade zu machen, ihrer Intuition und Neugierde zu folgen. Und dabei aus sich selbst heraus alles goldrichtig gemacht hat.

Existentielle Krisen und Schicksalsschläge können demnach nicht nur Schmerzen und Leid, sondern auch die Chancen und Wegweiser für ein anderes, neues und viel besseres Leben mit sich bringen, die in der Komfortzone des alten Lebens schlichtweg unsichtbar und unzugänglich waren.

Heute weiß die Lokführerin Andrea, dass die ehemalige Bürokauffrau schon lange vor der Kündigung unzufrieden war und deshalb nach dem ersten Schock der Kündigung auch gar nicht erst ins Tal der Tränen abgestiegen ist. Stattdessen hat sie ohne Umwege konstruktiv und zielgerichtet ihre Chance gesucht, ihren ungewöhnlichen Schritt in eine völlig fremde Arbeitswelt gewagt und die Kündigung zum Sprungbrett in ihr neues Leben gemacht.

Genau so geht Neuaufstellung. Herzlichen Glückwunsch liebe Andrea!

Coachcast-Folge 13: Jackpot Lokführerin

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Enthält gemafreie Imagefilm-Musik: Walking on Air von Frametraxx
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