Kölner Künstlerin

Foto: Teresa Rothwangl

„Kunst als ein Weg zu mehr Achtsamkeit“

Ein Wendepunkt markiert eine massive Änderung im Leben. Aber heißt es deswegen, alles anders zu machen als vorher? Oder vielmehr zu etwas zurück zu kehren, was uns früher schon erfüllt hat? Im heutigen Wendepunkt-Interview ist die Insolvenzverwalterin und gleichzeitige Künstlerin Jana Dettmer. 

Insolvenzverwalterin und Künstlerin ist eine ungewöhnliche Kombination. Passt das zusammen?

Für mich auf jeden Fall. Die Kunst ist nicht nur ein Ausgleich, sondern auch in meinem Beruf als Insolvenzverwalterin suche und finde ich seit über zwanzig Jahren kreative Lösungen für in die Krise geratene Unternehmen. Ich strukturiere um und gebe neuen Lösungen Raum. In der Malerei übersetze ich in meinen abstrakten Bildern meine Eindrücke und Ideen in vielen Farbschichten mit immer wieder neu entstehenden Verläufen und Strukturen.

Gab es einen Wendepunkt, durch den Sie der Kunst so viel Raum eingeräumt haben?

Ja, den gab es, obwohl mir eigentlich schon lange klar war, dass ich etwas an meiner Lebensführung ändern möchte. Ich war ein Workaholic, immer im Stress, viel Verantwortung, viele Sorgen, ein ständiges Gedankenkarussell, das zu schlaflosen Nächten geführt hat. Ich habe Bücher gelesen, verschiedenes ausprobiert, Gespräche geführt, geändert hat sich dadurch allerdings nichts. Um Entspannung zu finden, habe ich mir dann einen Jugendtraum erfüllt, ein Pferd gekauft und wieder angefangen zu reiten. Bewegung und die Zeit in der Natur sollten helfen. Das Reiten hat mir auch tatsächlich Spaß gemacht, aber ein Gefühl von Leichtigkeit stellte sich nicht ein. Es war vielmehr anstrengend. Noch etwas, um das ich mich kümmern und für das ich Zeit aufbringen musste. Irgendwas war nicht richtig, aber ich fand den Punkt nicht, an dem ich hätte eingreifen können.

Was hat am Ende zu mehr Leichtigkeit geführt?

Nach einem ersten Reitunfall im Jahr 2012 habe ich mit professioneller Traumabegleitung versucht, meinen Ängsten zu begegnen. Und bin dabei auf das Thema Achtsamkeit gestoßen. Gar nicht so leicht, sich zu spüren, wenn man vor lauter Stress seinen Bauch schon lange nicht mehr hört. Ich habe nach diesem Unfall gelernt, dass ich mir trotz meiner Selbständigkeit freie Zeit nehmen kann und ich habe erfahren, dass man seine Ziele auch ohne dauerhafte Anstrengung verfolgen kann, dass Lockerlassen und Leichtigkeit Erfolg nicht ausschließen.

Vorgabe der Traumatherapie war, jeden Tag Zeit mit meinem Pferd zu verbringen. Es erschien mir am Anfang unvorstellbar, so wenig präsente Zeit im Büro anwesend zu sein. Dadurch habe ich aber gelernt, Kontrolle abzugeben und darauf zu vertrauen, dass Leistung auch gut und erfolgreich sein kann, wenn sie nicht perfekt ist. Ich musste langsam gehen und Geduld üben, um den Genesungsprozess zu durchlaufen.

In dieser damals unfreiwillig entstandenen freien Zeit habe ich wieder angefangen zu malen, zaghafte erste Schritte. Und weil es mir so gut tat, begann ich meine Ausbildung in der Freien Kunstschule Köln. Noch war mir aber nicht klar, wohin der Weg führen sollte. Im Job, in der Freizeit mit dem Pferd und in der Kunst….

„Manchmal braucht es einen zweiten Anlauf“

Festgefahrene jahrelang geübte Verhaltensweisen sind hartnäckig und es brauchte einen zweiten schweren Reitunfall in 2015, um die aufgezeigte Richtung konsequent weiter zu gehen und mehr auf mich selbst zu hören. Heute sitze ich auf dem Pferd und dann bin ich mit meinen Gedanken auch nur dort, meine Beziehung zum Tier ist dadurch viel intensiver und vertrauenswürdiger geworden – viel schöner.

Wenn ich male, bin ich mit meinen Gedanken nur bei dem Bild, die Farben fesseln mich, der Entstehungsprozess fordert mich heraus und die Wendung, die das Bild häufig von selbst erfährt, ist spannend bis zum Schluss. Bis das Bild fertig ist, kann ich es nicht verlassen.

Was machen Sie heute anders als vor Ihrem Wendepunkt?

Immer noch ist es meine Hauptaufgabe, Leichtigkeit zu behalten, nicht zu sehr an einer Aufgabe zu „zerren“, Entwicklung und Freiräume zuzulassen, meinen Perfektionismus und meine Ungeduld zu hinterfragen. Das fällt nicht leicht, aber im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass ich viel mehr im Hier und Jetzt bin, mich selbst wieder spüre und auch – wenn ich aufmerksam hinhöre – immer mehr Dinge tue, die gut für mich sind und Dinge lasse, die mir nicht guttun.

Oftmals erst im zweiten Anlauf, aber ich finde, ich bin auf dem richtigen Weg. Ich weiß inzwischen, dass es nicht egoistisch ist, sich um sich selbst zu kümmern, sondern Grundvoraussetzung für ein zufriedenes und gesundes Leben.

WENDEPUNKT-TIPP:

Achtsamkeit üben

Mit einigen Übungen können wir unsere Achtsamkeit im Alltag trainieren. Eine kleine Auswahl:

Morgens: Einen Moment lang aufrecht auf der Bettkannte sitzenbleiben und die Körperempfindungen und aufsteigenden Gedanken und Emotionen wahrnehmen.

Innehalten: Zwischendurch im Alltag immer wieder einmal innehalten und den gegenwärtigen Moment bewusst wahrnehmen. Die Erfahrung im gegenwärtigen Moment in innerliche Worte fassen.Was meint er wirklich?

Warten: Wartesituationen nutzen, um die Aufmerksamkeit auf die Atmung zu lenken. Dafür eignen sich viele Situationen: rote Ampeln, die Supermarktkasse, Arzt- oder Behördenbesuche und da Warten auf das Essen im Restaurant.Wie kann die Botschaft bei mir an?