Stress und Druck

Vom Stress und vom Scheitern oder: Wer sagt eigentlich, dass immer alles gut laufen muss?

Vor zwei Wochen konnte ich noch nicht wissen, dass das Thema psychische Widerstandskraft wegen der Fußball-WM zum kollektiven Thema in Deutschland werden würde – auch wenn die Diskussionen meistens mit anderen Begriffen arbeiten. Ich hatte im Vorfeld bereits einen Beitrag zum Thema Resilienz geschrieben und möchte dieses wichtige Thema noch einmal genauer beleuchten.

Auch wenn im Vorfeld der WM viele Vorzeichen einiges Vermuten ließen, war der Abgesang der DFB-Elf fast mitleidig, jedenfalls wenn man zu den empathischen Menschen dieser Erde gehört. Alle Fußballfans und vermeintlichen Fußballexperten, die natürlich schon alles vorab gewusst haben, ließen mit ihren Kommentaren nicht lange auf sich warten. Und dabei orakele ich jetzt mal, dass diese Experten bestimmt nicht wissen, was sich wirklich im Hintergrund verbirgt. Konzentrationsschwäche, fehlende Motivation, Verbindung oder Vernetzung, fehlendes Engagement oder nicht ausreichende psychische oder physische Fitness – wir wissen es nicht und werden es auch nicht erfahren. Denn das Einzige, was in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist für die Betroffenen den Ursachen auf den Grund zu gehen und sich damit wirklich auseinanderzusetzen.

Resilienz ist ein Prozess

Denn eines ist wohl mal klar: Alle Spieler sind in Sachen Resilienz in den letzten Wochen aus sich herausgewachsen. Wie es jetzt weitergeht in oder nach dem Verarbeitungsprozess, wird die Zeit mit sich bringen. Denn ein Drill auf schnelle Verdauung von Niederlagen lässt sich nicht durchsetzen. Und das ist auch gut so. Eine mentale Begleitung ist sicherlich kein Fremdwort mehr im Fußball. Für meinen persönlichen Geschmack dürfte der Umgang mit dem Scheitern und dem enormen Druck jedoch viel stärker zum Thema gemacht werden, auch in der Öffentlichkeit und nicht nur hinter verschlossenen Kabinentüren. Hut ab vor Manuel Neuer, der sichtlich enttäuscht, trotzdem in der Lage war, die Situation und das Spiel klar zu analysieren. Er hat den Umgang mit diesem Stress wirklich gelernt, jedenfalls vordergründig.

Stress ist auch etwas Gutes

Und wer mit ihm umzugehen weiß, für den hat Stress auch viele positive Aspekte. Stress ist dafür da, in schwierigen Situationen schnell zu handeln und schnelle Entscheidungen zu treffen, statt uns schicksalshaft den äußeren Umständen zu ergeben. Blutdruck und Puls steigen an, die Atmung wird schneller. Das Hormon Adrenalin schwärmt aus und sorgt dafür, dass das Gehirn und die Muskeln mit Energie versorgt werden. Sprich, Stress sorgt dafür, dass wir überhaupt erst zu Höchstleistungen fähig sind.

Wichtig ist allerdings, nach den stressigen Phasen wieder schnell zur Normalform zurückzufinden. Das ist, was vielen zunehmend schwerfällt. Hilfsmittel sind da unbedingt erlaubt. Mein Arzt empfiehlt Tanzen zur Verarbeitung von Stress. Bei mir funktioniert es, aber wem das nicht liegt, für den gibt es noch viele andere Wege. Die Überwindung von Druck und Stress hängt in erheblichen Maße von der psychischen Widerstandskraft ab, die wir von Kindesbeinen an entwickeln.

Unsere psychische Widerstandskraft zeigt sich aber nicht nur in Stresssituationen, sondern vor allem auch im Umgang mit kleinen oder großen Niederlagen und anderen Krisen. Außerdem tragen persönliche Eigenschaften zum Umgang mit Extremsituationen bei und daher wird sich jeder einzelne – auch wenn es sich um einen Mannschaftssport handelt – vom Bundestrainer bis zum Spieler mit dem Scheitern des Teams auseinandersetzen müssen.

Vom Irrtum des Immerfröhlichseins

Und das bedeutet nicht, direkt wieder gut drauf und in Topform zu sein. Das ist auch nicht die Bedeutung von Resilienz. Auch starke Charaktere haben verletzliche Seelen. Manche leiden stark, manche hadern mit ihrem Schicksal. Der Unterschied: Wer widerstandsfähig ist, bleibt in Frust, Trauer oder Schrecken nicht gefangen. Resiliente Menschen stehen wieder auf, sind weniger zerbrechlich und nach dem Tal der Tränen geht es für sie wieder bergauf. Wichtig ist der Unterschied zwischen Überwindung und Verdrängung. Studien der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Universität Jena haben nachgewiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Krankheiten und verdrängten Gefühlen gibt. Menschen, die dazu neigen, zeigen beispielsweise eine Tendenz zu erhöhtem Blutdruck.

Klar, ist es ein natürlicher Abwehrprozess, unangenehme Gefühle von Zeit zu Zeit zu verdrängen. Wenn daraus ein Muster unserer Persönlichkeit wird, wird das dahinter gelagerte Gefühl der Angst allerdings zum Dauerstress. Und das macht uns dann wirklich krank. Also, raus mit den Gefühlen, egal in welcher Form. Damit beginnt der erste Schritt der Verarbeitung.

Wachstum im Unglück

Stresszeiten und Krisen sind immer für irgendetwas gut. Ich weiß, dass es unmöglich ist, es sofort zu durchblicken und wir als Fußballzuschauer haben vielleicht nicht wirklich was vom Ausscheiden der Deutschen Nationalmannschaft, außer ein paar Termine mit dem Bildschirm weniger. Aber prinzipiell berichten viele Betroffene, dass sie nach wirklich schlimmen Ereignissen gereift seien, eine größere Wertschätzung dem Leben entgegenbringen konnten, dass sie sich wieder spüren. Posttraumatisches Wachstum nennen das die Psychologen. Der erste Schritt ist es allerdings das eigene Scheitern oder andere einschneidenden Veränderungen als Krisen einzustufen, die es zu überwinden gilt.

Lehren für den Alltag: Was können wir proaktiv tun, um uns nicht einfach unserem Schicksal zu ergeben?

1.     Flexibel bleiben

Krisen sind keine unlösbaren Probleme, wir können unangenehme Dinge nicht beeinflussen. Sie passieren und gehören zum Wachsen der Persönlichkeit dazu. Resilienz zu erhalten bedeutet auch, in schwierigen Lebenslagen flexibel und ausbalanciert auf sich zu achten.

2.     Starke Emotionen zulassen

Lassen Sie Ihren starken Emotionen freien Lauf und nehmen Sie auch wahr, wenn das keine gute Idee ist. Es ist immer gesünder, alle Gefühle raus zu lassen. In manchen Situationen muss man allerdings abwägen, ob der Wutausbruch oder die Tränen im Kontext gerade empfehlenswert sind. Ab und zu ist es sicher ratsam, die eigenen Gefühle einmal hintenanzustellen, wenn es den eigenen Zielen dient. Dauerhaft macht es allerdings krank.

3.     Proaktive Herangehensweise

Packen Sie Ihre Probleme und Ihre Ziele aktiv an und stellen Sie sich den Herausforderungen des täglichen Lebens. Schieben Sie die Dinge nicht auf. Aber ebenfalls wichtig: Pausen nicht vergessen, um neue Kraft zu schöpfen. Leider lassen sich nicht alle Ziele erreichen. Konzentration bahnt den Weg.

Konzentration4.     Soziale Kontakte pflegen

Verbringen Sie viel Zeit mit Menschen, die Sie lieben und die Ihnen guttun, denn wir Menschen brauchen Zuspruch und Unterstützung. Und vergessen Sie nicht, diese auch zurück zu geben.

5.     Vertrauen schaffen

Vertrauen Sie sich selbst und anderen. Das schult den Blick fürs Wesentliche. Reflektieren Sie über Ihre Persönlichkeit und entdecken Sie, welche Ihrer Eigenschaften Ihnen hilft, aus der Krise zu finden. Nutzen Sie vor allem Ihre Tugenden als mentale Unterstützung. Daraus entwickeln Sie eine positive Sicht auf sich selbst. Sich selbst erkennen, heißt auch, sich so anzunehmen wie man ist. Raus aus der Optimierung, rein in die Akzeptanz. Achten Sie auf ihre Bedürfnisse und Gefühle und vergessen Sie nicht, diese Achtsamkeit zu ritualisieren und zu etablieren. Damit haben Sie das beste Rüstzeug, gestärkt aus jeder Krise hervorzugehen. Versprochen.

 

Selbsttest: Wie resilient bin ich?

(Aus dem Buch „Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout“ von Christina Berndt, dtv- München 2016)

Stimmen Sie folgenden Fragen eher zu oder eher nicht zu?

  1. Wenn ich Pläne habe, verfolge ich sie auch.
  2. Normalerweise schaffe ich alles irgendwie.
  3. Ich lasse mich nicht so schnell aus der Bahn werfen.
  4. Ich mag mich.
  5. Ich kann mehrere Dinge gleichzeitig bewältigen.
  6. Ich bin entschlossen.
  7. Ich nehme die Dinge, wie sie kommen.
  8. Ich behalte an vielen Dingen Interesse.
  9. Normalerweise kann ich eine Situation aus mehreren Perspektiven betrachten.
  10. Ich kann mich auch überwinden, Dinge zu tun, die ich eigentlich nicht machen will.
  11. Wenn ich in einer schwierigen Situation bin, finde ich gewöhnlich einen Weg heraus.
  12. In mir steckt genügend Energie, um alles zu machen, was ich machen muss.
  13. Ich kann es akzeptieren, wenn mich nicht alles Leute mögen.

 

Wenn Sie dem Großteil der Aussagen eher zustimmen, wirft Sie so schnell nichts um. Sie können mit den meisten Belastungen umgehen und sind den Anforderungen Ihres Lebens gewachsen. Sie können flexibel auf Schicksalsschläge reagieren und finden meistens eine Lösung, die zu Ihnen passt und Sie weiterbringt.